«Wer keine Haltung zeigt, fällt durchs Raster»

Leone Ming hat in den vergangenen 20 Jahren mehrere hundert Brands und Kampagnen für nationale und internationale Unternehmen entwickelt, unter anderem auch das Erscheinungsbild des Unternehmertags. Der Markenexperte spricht am Unternehmertag über das Geheimnis erfolgreicher Marken und die Trends der Zukunft.

Leone, du hast weit über 300 Marken entwickelt – darunter zahlreiche Brands, die im Land einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt haben. Was ist dein Erfolgsrezept?

Ich höre zu, bevor ich gestalte und ich hinterfrage, bevor ich antworte. Marken entstehen nicht am Reissbrett – sie entstehen im Kern eines Unternehmens, der Identität. Meine Aufgabe ist es, genau das sichtbar zu machen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich verbinde Strategie mit Intuition, Präzision mit Emotion. Ich glaube an Klarheit. An Marken, die Ecken und Kanten haben. Die nicht jedem gefallen – aber den Richtigen. Ich entwickle keine Logos für die Schublade, sondern Identitäten, die wirken. Die auffallen, ankommen, im besten Fall auch anecken – weil sie Position beziehen. Wenn die Leute von «wo man mi kennt» – Slogan Ospelt Genussmarkt, Schaan – reden, oder wenn das grosse, rote W auf den LKW- Autos erkannt wird, ohne dass man den Unternehmensnamen sieht, dann hat man vieles richtig gemacht.

Was macht eine starke Marke heute aus – und wo beginnt gute Markenbildung?

Eine starke Marke entsteht nicht auf dem Papier, sondern im Kopf – und vor allem im Herzen der Zielgruppe. Markenbildung beginnt nicht mit einem Logo, sondern mit einer klaren Positionierung. Nicht im Kreativstudio, sondern im Unternehmen. Identität ist das Schlüsselwort: Wer sind wir, warum tun wir, was wir tun – und was macht uns wirklich anders? Das sind die Fragen, die an den Anfang gehören.
Viele Unternehmen überspringen diesen Teil und wollen direkt «etwas Frisches». Aber ohne strategisches Fundament wird auch das schönste Branding zur leeren Hülle. Gute Markenführung ist kein kosmetisches Projekt, sondern ein strategischer Prozess. Wer das verinnerlicht, legt den Grundstein für echte Markenstärke – intern wie extern.

Welche typischen Fehler beobachtest du immer wieder bei Unternehmen im Branding-Prozess?

Nummer 1: Branding wird mit «neues Logo gestalten» verwechselt und als rein gestalterisches Projekt betrachtet. Man will ein neues Logo, aber die eigentlichen Fragen nach der strategischen Positionierung bleiben unbeantwortet. Nummer 2: Zu viele Köche. Wenn der CEO, die Marketingleitung, die HR-Abteilung und der Schwager alle mitreden, dann wird’s schnell verwässert. Marken brauchen Klarheit – und Klarheit braucht Mut zur Entscheidung. Keine Kompromisse, sondern eine Kante. Auch beliebt: Branding als einmaliger Akt. Dabei ist es ein Prozess. Ein System, das lebt, sich weiterentwickelt, Feedback integriert und dennoch konsistent bleibt. Und dann ist da noch der Klassiker: Angst vor dem Fokus. Unternehmen wollen sich nicht festlegen, aus Sorge, etwas oder jemanden auszuschliessen. Aber wer alles sagt, sagt nichts. Marken brauchen Profil. Nicht Breite. Das ist wie ein Chamäleon auf Speed: ständig in Bewegung, aber für niemanden wirklich sichtbar.

Wie verändert sich visuelle Kommunikation im digitalen Zeitalter – und was bedeutet das für Unternehmen, die sichtbar und relevant bleiben wollen?

Früher war Markenführung eine Einbahnstrasse: Man sendete Botschaften und hoffte, dass sie wirken. Heute ist es ein ständiger Dialog: ein Live-Experiment. Im digitalen Zeitalter entscheidet nicht mehr das Unternehmen allein, wie eine Marke wahrgenommen wird – es sind die Nutzer, die Community, die Interaktion. Social Media verlangt eine andere Sprache, mehr Relevanz, Schnelligkeit, Mut zur Haltung – und manchmal auch die Fähigkeit, Fehler einzugestehen. Gleichzeitig ist User Experience heute ein zentraler Bestandteil von Markenführung. Wenn eine App schlecht funktioniert oder ein Onlineshop nervt, schadet das der Marke genauso wie ein Skandal. Branding wird also zunehmend zu einer systemischen Disziplin: Strategie, Design, Kommunikation, IT, HR – alle müssen zusammenarbeiten, um die Marke lebendig und glaubwürdig zu halten. Die digitale Welt hat Marken demokratisiert. Wer nicht echt ist, fliegt auf. Und wer echte Beziehungen schafft, gewinnt. Agilität, Feedbackkultur und digitale Empathie sind neue Schlüsselkompetenzen. Und nicht vergessen: In der digitalen Welt besitzt der Konsument die Marke – nicht das Unternehmen.

Du hast das neue visuelle Erscheinungsbild für das 20-jährige Jubiläum des Unternehmertags gestaltet. Was war dir dabei besonders wichtig?

Bei einem Event wie dem Unternehmertag geht es nicht nur um ein Jubiläum – es geht um Relevanz. Um eine Marke, die seit 20 Jahren Köpfe, Ideen und Perspektiven zusammenbringt. Mein Anspruch war deshalb: Nicht einfach ein neues Kleid für die Bühne, sondern ein visuelles Statement für die Bühne der Zukunft. Wichtig war mir, die Balance zu finden zwischen Wertigkeit und Weitsicht. 20 Jahre – das ist ein Meilenstein, aber kein Museum. Zentrales grafisches Element ist das «visuelle Band». Es steht symbolisch für Verbindung, Austausch, Gespräch – und genau dafür steht der Unternehmertag. Wir haben ein Design entwickelt, das mit dieser grafischen Geste Menschen und Meinungen visuell verknüpft. Kein steifer Jubiläumslook, sondern eine Bühne für Dialog, Aufbruch und Inspiration.

Welche aktuellen Trends sehen Sie im Bereich Markenführung und visuelle Markenkommunikation?

Da ist zum einen der Wunsch nach Reduktion: weniger Chichi, mehr Klarheit. Minimalismus mit Bedeutung, nicht aus Faulheit. Gleichzeitig gewinnt das Thema Bewegung an Bedeutung – animierte Logos, responsive Designs, dynamische Markenarchitektur. Ein weiterer Trend: Authentizität statt Perfektion. Die Generation Z durchschaut Corporate Bullshit in Sekunden. Wer keine Haltung zeigt, fällt durchs Raster. Und: KI verändert die Spielregeln. Aber: Branding bleibt ein Menschenthema. Algorithmen analysieren, aber sie fühlen nicht. Noch nicht. Und das ist ganz gut so.

Newsletter

Jetzt anmelden und immer auf dem Laufenden sein!

*“ zeigt erforderliche Felder an

Dieses Feld dient zur Validierung und sollte nicht verändert werden.