UNTERNEHMERTAG
Bildlegende: Wer von seiner Idee überzeugt ist, gibt nicht so schnell auf: Elektroauto-Pionier Günther Schuh.
«Da muss man durch»
Elektroauto-Pionier Günther Schuh entwickelt und produziert Elektrofahrzeuge am Standort Aachen. Im Interview spricht er über seinen Weg vom Forscher zum Autoproduzenten und die Chancen der Rheintaler Industrie. Interview: Stefan Lenherr
Herr Professor Schuh, Sie erleben derzeit aufregende Zeiten: Für Ihr Elektroauto-Startup e.GO Mobile ist ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet worden und Sie brauchen neue Investoren. Was reizt Sie am Risiko?
Die Bausteine, die notwendig sind, um eine Vision umzusetzen, sind vorher nur schwer vollständig abzuschätzen. Insofern beginnt man eine Reise mit der Hoffnung, dass alle Etappen bewältigt werden können. Wenn dann einzelne, wie insbesondere die Finanzierung mit genügend Eigenkapital schwierig werden, dann entsteht schon mal ein quasi existenzielles Risiko. Da muss man dann durch!
Sie haben bisher mehr als 300 Millionen Euro für ihr Unternehmen eingesammelt und werden voraussichtlich noch mehr Geld brauchen. Was macht Sie so sicher, dass die Investoren ihrem Geschäftsmodell langfristig vertrauen?
Die Einzigartigkeit unseres Produktionssystems und das dazugehörige Produkt macht mich nicht sicher, aber hoffnungsfroh, dass wir auch für unsere vorerst letzte Finanzierungsetappe Investoren gewinnen können. Alle Revolutionen in der Automobilität haben bisher ihren Ursprung in neuen Produktionskonzepten gehabt. Auch diesmal ist es Zeit, ein neues Produktionskonzept anzugehen, das den Hauptnachteil der heutigen Automobilproduktion, nämlich massive Überkapazitäten und Überproduktion, nicht zuletzt aus Nachhaltigkeitsgründen, systematisch vermeiden kann.
Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, selber Autoproduzent zu werden?
Ich bin nur aus Verlegenheit und vielleicht auch einer Portion Eitelkeit Autoproduzent geworden. Wenn Sie mit einem gründlich erforschten Konzept kein Gehör bei den Playern einer Branche, der Sie helfen wollen, finden, dann geben Sie nicht so schnell auf, wenn Sie von Ihrem Konzept überzeugt sind. Und so wurde ich vom Forscher zum Projektleiter, zum Gründer eines Ingenieurbüros, zum Fahrzeugentwickler bis zum Autoproduzenten. Wir haben den e.GO Life und das zugehörige Produktionssystem ja von vornherein auf niedrigste Investitionen in die Produktionseinrichtungen und niedrigste Prozesszeiten für die Produktion ausgelegt und damit das günstigste Elektroauto überhaupt bauen wollen.
Mit dem e.GO Life 20 bieten Sie vollelektrische Pkw zu einem Kampfpreis an. Welche Innovation verschafft Ihnen Vorteil gegenüber Mitbewerbern?
Die grösste Innovation ist vermutlich unser Produktionssystem, basierend auf dem Internet of Production Konzept, dadurch kommen wir mit einem Bruchteil der branchenüblichen Kapitalbindung und einem sehr kleinen Overhead aus. Allerdings musste auch das Fahrzeug dazu komplett anders ausgelegt werden. Wir verzichten auf die Entwicklungs- und Vorleistungsintensive selbsttragende Karosserie und verwenden stattdessen einen Aluminiumprofil Space Frame als besonders steifen Fahrzeugrahmen, der dann mit wunderschön aussehenden, nicht lackierten Kunststoffteilen, sogenannten Thermoplasten, beplankt wird.
Weshalb verfolgen Sie mit dem e.GO Life eine völlig andere Strategie als etwa Tesla, das zu Beginn mit Luxusautos auf den Markt gekommen ist und erst in einem zweiten Schritt Autos für Otto-Normalverbraucher produziert hat?
Weil es im Autogeschäft eine Regel gibt, die heisst: Downsizing bringt keine ausreichenden Reduzierungseffekte. Das heisst umgekehrt, man muss eine Fahrzeugplattform immer mit dem kleinsten, einfachsten und leichtesten Vertreter der Plattform beginnen, um sie in den weiteren Verlauf aufwerten, verstärken und zu hochwertigeren Versionen derivatisieren zu können. Dieser Weg ist deutlich effizienter und erfordert wesentlich weniger Kapital. Der Top-Down-Weg geht nur, wenn man extrem viel Kapital zur Verfügung hat und dadurch einen langen Atem über mehrere Fahrzeuggenerationen entfalten kann.
Welchen grossen Herausforderungen sieht sich die E-Mobilität aktuell gegenüber?
Die Hauptherausforderung ist derzeit noch, überhaupt die Kunden massenweise für die Fahrzeuge zu begeistern. Dazu gehört deutlich mehr, als auf vermeintlich vernünftige Preis- zu Reichweiten-Verhältnisse zu kommen. Die Legacy der etablierten Hersteller hilft dabei nicht, sie unterstützt vielmehr eine weitverbreitete, aber schräge Erwartungshaltung, nämlich, dass ein gutes E-Auto genauso weit und schnell fahren kann, wie ein Verbrennerfahrzeug. Das ist bereits die falsche Diktion und verhindert die naheliegenden logischen und faszinierenden User Stories, insbesondere das E-Auto im privaten Gebrauch als den typischen Zweitwagen zunächst zu sehen.
Sie waren früher Professor an der Universität St. Gallen und kennen die Rheintaler Industrie. Was zeichnet den Wirtschaftsstandort aus ihrer Sicht besonders aus und wo liegt das Potenzial?
Die Rheintaler Industrie zeichnet sich durch eine europaweit überdurchschnittlich starke und konsistente Unternehmensführung aus. Die strategische Kompetenz schnell und klar zu erkennen, wo noch neue Chancen und Märkte liegen, und diese dann mit einer ebenfalls überdurchschnittlichen Konsequenz und Sorgfalt auch zügig umzusetzen, hat mich bei vielen der mir bekannten Unternehmen im Rheintal immer sehr beeindruckt. Der Wirtschaftsstandort Rheintal hat daher insbesondere die Chance, als ein Fast Mover neue Trends, wie z. B. die Elektromobilität, aufzugreifen und dazu wichtige Komponenten und Systeme frühzeitig zu entwickeln und in den Markt zu bekommen.