Frauen sind in den Chefetagen von Firmen und Organisationen nach wie vor unterrepräsentiert. Der Verein «Women for the Board» macht deshalb Frauen stärker sichtbar, um ihre Chancen auf geeignete Mandate zu erhöhen. Die Liechtensteinerin Almut Jehle erklärt, warum sie sich aktiv einbringt.
Frau Jehle, Sie sind Mitglied des Vereins «Women for the Board». Was hat Sie persönlich dazu motiviert, sich mit anderen Frauen zu vernetzen, die sich für Verwaltungsrats- oder Stiftungsratsmandate interessieren?
Ich bin überzeugt, dass wirksame Veränderung dort beginnt, wo Verantwortung geteilt und Perspektivenvielfalt gefördert wird – also genau in den Gremien, die strategische Entscheidungen treffen. Mandate für Verwaltungs- und Stiftungsräte werden meistens über persönliche Empfehlungen und informelle Kreise vergeben, in denen Frauen seltener vertreten sind. «Women for the Board» eröffnet hier neue Räume: für Sichtbarkeit, für Austausch, für gegenseitige Ermutigung. Es bringt Frauen zusammen, die bereit sind, sich einzubringen, und schafft ein Umfeld, in dem gegenseitige Unterstützung selbstverständlich ist. Für mich war von Anfang an klar: Ich möchte nicht nur Teil von Veränderung sein, sondern sie aktiv mitgestalten, indem ich meine Erfahrung einbringe, Räume öffne und Frauen ermutige, ihren Weg zu gehen.
Sie begleiten Menschen und Organisationen in transformativen Strategieprozessen. Welche Erfahrungen können Sie einbringen?
Seit über 13 Jahren begleite ich als Executive Leaderin und Verwaltungsrätin Organisationen in Phasen von Veränderung und Wachstum, oft in anspruchsvollen Umbruchsituationen. Ich kenne die Dynamiken, die solche Prozesse auslösen, und weiss, worauf es ankommt, damit sie nicht nur konzipiert, sondern auch getragen und umgesetzt werden. Besonders in Transformationsprozessen zeigt sich, wie stark Führung das Miteinander prägt: Kommunikation, Vertrauen und Klarheit sind entscheidend. So arbeite ich mit einem systemischen Ansatz, der auf Transparenz, Beteiligung und gemeinsames Lernen setzt. Dabei bringe ich nicht nur strategische Erfahrung mit, sondern auch ein gutes Gespür für Zwischentöne, Spannungsfelder und kulturelle Dynamiken. Transformation betrifft nicht nur Prozesse und Strukturen, sondern immer auch Kultur, Werte und Leadership – und genau dort setze ich an.
Wie hat das Netzwerk konkret in Ihrem Fall unterstützen können?
Der grösste Mehrwert liegt für mich im fachlichen Austausch auf Augenhöhe. Die Gespräche mit anderen erfahrenen Frauen im Netzwerk haben mir neue Perspektiven eröffnet, meine eigenen Einschätzungen geschärft und konkrete Impulse für meine Arbeit geliefert – besonders in strategischen und governancebezogenen Fragen. Darüber hinaus ist das Netzwerk eine Plattform, über die Informationen, Empfehlungen und Mandate weitergegeben werden – pragmatisch, direkt, ohne Umwege. Ich schätze diese Effizienz und Zielgerichtetheit sehr. Es geht nicht um Sichtbarkeit um der Sichtbarkeit willen, sondern darum, Wirkung zu entfalten – individuell und gemeinsam. Genau dafür bietet «Women for the Board» die richtigen Strukturen.
Wo sehen Sie noch Hürden, dass Frauen immer noch in vielen Chefetagen zu wenig stark vertreten sind?
Auch wenn Führungspositionen heute meist offen ausgeschrieben sind, bedeutet das noch lange nicht, dass sie für alle gleich zugänglich sind. Viele Rollen sind an ein bestimmtes Bild von Führung gekoppelt – geprägt von Verfügbarkeit, Durchsetzungskraft und Erwartungen an Karrierewege, die möglichst geradlinig verlaufen. Frauen bewerben sich seltener, wenn sie sich nicht in allen Punkten wiederfinden, Männer greifen oft früher zu. Hinzu kommt: Frauen achten stark auf die gelebte Arbeitskultur. Wenn Führung im Unternehmen mit Einzelkämpfertum oder Präsenzkultur verbunden ist, steigen viele bewusst nicht ein, selbst wenn sie bestens qualifiziert sind. Es sind keine sichtbaren Barrieren, aber viele unausgesprochene Erwartungen, die summiert ausschliessen. Wer mehr Vielfalt in Führung will, muss nicht nur Stellen ausschreiben, sondern auch Strukturen und Kultur aktiv hinterfragen.
Was wünschen Sie sich diesbezüglich für die Zukunft?
Führungspositionen sollten nicht mehr über kulturelle Codes funktionieren, sondern über Kompetenzen und Haltungen. Statt zu fragen: «Passt sie oder er zu uns?», sollte es heissen: «Was bringt diese Person ein, das uns weiterbringt?» Vielfalt darf kein Zusatzkriterium sein, sondern muss als selbstverständliches Qualitätsmerkmal gelten, gerade in Zeiten, in denen Organisationen sich laufend neu ausrichten. Ich wünsche mir, dass mehr Frauen mutig sind, sich zu zeigen – auch wenn nicht alles perfekt passt –, und die Zuversicht mitbringen, nicht nur dabei zu sein, sondern Systeme aktiv mitzugestalten. Dafür braucht es Strukturen, die Entwicklung ermöglichen, statt Ausschluss zu reproduzieren. Meine Perspektive möchte ich weiterhin in Liechtenstein einbringen – konstruktiv, respektvoll und mit dem Blick auf gemeinsames Gestalten.