«Er ist der Erfinder. Ich packe gerne an»

Karl Müller senior hat die Schuhindustrie mit der runden Sohle der MBT-Schuhe revolutioniert. Karl Müller junior führt die Vision seines Vaters fort und setzt dabei auch auf neue Wege.

Karl Müller senior, Sie haben die Schuhindustrie mit der runden Sohle der MBT-Schuhe revolutioniert. Wie blicken Sie heute auf diese Erfindung zurück?

Karl Müller senior: Der Mensch baut seit Jahrtausenden Schuhe – doch immer mit der Vorstellung, dass der Schuh stützen und stabilisieren soll. Dieses Denken war fest in der Wissenschaft, der Medizin und der Biomechanik verankert. Ich habe das Gegenteil behauptet: Wenn ein Schuh zu viel stabilisiert, wird die Muskulatur faul. Meine Idee war, dass die Sohle instabil und elastisch sein muss – damit der Körper wieder selbst aktiv wird. So entsteht Stärke aus eigener Kraft. Anfangs galt ich als Spinner. Doch irgendwann begann selbst die Wissenschaft umzudenken. Heute setzen fast alle grossen Marken auf weich, elastisch, aktiv – genau so, wie wir es seit fast 30 Jahren tun. Der Erfolg gibt uns recht. Und Gott sei Dank gelingt es uns bis heute, technologisch immer wieder einen Schritt voraus zu sein – sonst gäbe es uns längst nicht mehr.

Was hat Sie angetrieben, das Unternehmen ständig weiterzuentwickeln?

Karl Müller senior: Am Anfang war meine Motivation ganz simpel: Ich musste unsere neunköpfige Familie ernähren. Mein Ziel war, jede Woche ein Paar Schuhe zu verkaufen – an Freunde, Bekannte, Verwandte. Doch schon bald wurde es mehr: Die Freude, zu sehen, wie unsere Schuhe Menschen helfen. Fremde erzählten mir, wie sich ihr Leben durch das Gehen auf unserer Sohle verändert hatte. Das löste eine Welle der Mund-zu-Mund-Empfehlung aus – erst in der Ostschweiz, dann in der ganzen Schweiz, schliesslich weltweit. Auch heute, als Rentner, berührt es mich zutiefst, wenn mir jemand sagt, dass er dank unserer Schuhe wieder schmerzfrei gehen kann. Dann mache ich innerlich immer noch Luftsprünge.

Was war für Sie der entscheidende Moment, zu sagen: «Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für den Generationenwechsel?»

Karl Müller senior: Ich war mit Leib und Seele 50 Jahre lang Unternehmer – genau das, wovon ich als kleiner Bub geträumt hatte. Und ich habe mir immer gewünscht, dass diese Geschichte in der Familie weitergeht. Als mein Sohn Karl dann auf mich zukam und mich fragte, was ich davon halte, kybun und Joya unter seiner Leitung zusammenzuführen, zögerte ich keine Sekunde. Ich liess innerlich in diesem Moment komplett los – und habe bis heute keine Mühe damit. Im Gegenteil: Ich bin dankbar, dass er gemeinsam mit Claudio Minder das Unternehmen durch die Stürme der heutigen Zeit führt.

Karl Müller junior, was hat Sie dazu motiviert, das eigene Unternehmen Joya aufzubauen?

Karl Müller junior: Ich hab früh gesehen, was mein Vater macht – Unternehmer durch und durch. Und irgendwie war mir klar: Das will ich auch. Damals ging’s mir darum, etwas zu erfinden, an dem Menschen Freude haben – und das sie am Ende auch kaufen. Mich hat fasziniert, wie man mit einer Idee etwas bewegen kann. Diese Mischung aus Begeisterung, Nutzen und Erfolg – das hat mich gepackt. Und 20 Jahre später fühlt es sich immer noch gleich an.

Wie kam es schliesslich zur Fusion der beiden Schuhhersteller kybun und Joya?

Karl Müller junior: Nachdem sich mein Vater im Jahr 2019 nach und nach aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hatte, ging bei kybun spürbar die unternehmerische Energie verloren. Es fehlte an Vision und Klarheit, wie es weitergehen soll. Claudio und ich hatten mit Joya ein starkes Team und eine klare Vorstellung davon, wohin wir wollen. Für uns war schnell klar: Wenn wir wirklich etwas bewegen wollen, müssen wir die beiden Marken zusammenbringen. Die Fusion war also kein lang geplanter Schritt, sondern eine Entscheidung aus dem Moment heraus – aber mit voller Überzeugung. Heute sind wir froh, dass wir’s gemacht haben.

Wo setzen Sie bewusst neue Akzente, und in welchen Bereichen führen Sie die Linie Ihres Vaters weiter?

Karl Müller junior: Ich setze klare Akzente im Aufbau unseres eigenen Retailnetzwerks – etwas, das wir früher nicht gemacht haben, heute aber gut in den Zeitgeist passt. Vor fünf Jahren haben wir damit begonnen, eigene Stores zu eröffnen. Inzwischen sind es 21 eigene Geschäfte, dazu kommen knapp 100 Franchise-Stores und rund 1’000 Fachhändler weltweit. Ein zentraler Fokus liegt auf der internationalen Expansion und Skalierung – getragen von digitalen Plattformen, einheitlichem Franchise-Konzept und global abgestimmten Kollektionen. Parallel dazu wurde die Organisationsentwicklung neu ausgerichtet: Ziel ist es, unternehmerisches Denken im Team zu fördern, Verantwortung zu stärken und als Organisation beweglich und anpassungsfähig zu bleiben. Was ich von meinem Vater übernommen habe, ist die Grundhaltung: Menschen sollen besser gehen können – schmerzfrei und mit Freude an der Bewegung. Er ist der Erfinder. Ich sehe meine Rolle darin, seine Idee weltweit wirksam und zugänglich zu machen. Ich bin nicht der Theoretiker, sondern jemand, der gerne anpackt, Dinge in Gang bringt und gemeinsam mit dem Team Lösungen findet.

Wo steht das Unternehmen heute?

Karl Müller junior: In den letzten fünf Jahren haben wir stark expandiert – neue Stores eröffnet, unsere Marken international gestärkt und viele Menschen erreicht. Jetzt ist der Moment, uns zu konsolidieren – und von innen heraus weiter zu stärken. Dieses Jahr nutzen wir gezielt für unsere Weiterentwicklung: Wir verbessern die User Experience auf allen Ebenen – für unsere Partner, unsere Kunden und unser Team. Unsere Kollektionen werden neu ausgerichtet, um noch gezielter auf die Bedürfnisse unserer Zielgruppen einzugehen. Ein grosser Meilenstein war der Aufbau unseres eigenen ERP-Systems und einer internen Logistik. Heute verschicken wir unsere Schuhe selbst – das bringt mehr Kontrolle, mehr Kundennähe und legt den Grundstein für nachhaltiges Wachstum. Gleichzeitig investieren wir ins Team: Wir geben mehr Verantwortung ab, fördern Innovationsgeist und unternehmerisches Denken. Denn wir sind überzeugt – wer mitdenkt, gestaltet mit.

Welche Zukunftspläne haben Sie?

Karl Müller junior: Als Familienunternehmen denken wir langfristig – nicht in Quartalen, sondern in Generationen. Unser Anspruch ist, ein verlässlicher Partner zu sein: für Händler, Mitarbeitende und Kundinnen und Kunden. Mit unserer neuen Fertigungstechnologie, die Ende Jahr in der Schweiz die ersten Schuhe produzieren soll, gehen wir auch produktionstechnisch den nächsten Schritt. Wir glauben an den Standort Schweiz – aus Überzeugung. Unsere Vision ist einfach: Wenn Menschen Schmerzen beim Gehen oder Stehen haben, sollen sie an Kybun Joya denken – bevor sie ans Skalpell denken. Denn oft liegt die Lösung näher, als man glaubt.

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