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UNTERNEHMERTAG

«Wir dürfen den Wohlstand nicht verwalten, sondern müssen innovativ bleiben»

Suzanne Thoma ist eine der mächtigsten Frauen in der Schweizer Industrie. Sie führt den Industriekonzern Sulzer und sorgt sich um die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz.

Frau Thoma, was waren Ihre wichtigsten Ziele, als Sie die Position der CEO bei Sulzer übernommen haben, und wie haben Sie diese bisher erreicht?

Das wichtigste, übergeordnete Ziel war und ist, die 190-jährige Sulzer für die Zukunft fit zu machen. Das globale Umfeld bewegt sich sehr stark. Ferne Volkswirtschaften erstarken. Das ist einerseits eine Chance, da unsere Absatzmärkte grösser werden, andererseits eine Herausforderung, weil neue Konkurrenzsituationen entstehen. Heute sind wir noch nicht am Ziel. Wir haben die notwendigen Veränderungen eingeleitet und sind in der Umsetzung.

Sie führen den Industriekonzern im Doppelmandat. Warum?

Weil der Verwaltungsrat einstimmig zum Schluss kam, dass das Doppelmandat mit den Chancen und Herausforderungen, die Sulzer heute hat, im Interesse des Unternehmens ist. Ein Doppelmandat ist auch in der Schweiz nicht verboten und in vielen Ländern ist es die Norm. In unserer konkreten Erfahrung stärkt es die Zusammenarbeit zwischen dem Verwaltungsrat und der operativen Führung und führt zu mehr Transparenz für den Verwaltungsrat.

Welche Strategie verfolgen Sie, um Sulzer als führendes Unternehmen in der Maschinenbau- und Ingenieurindustrie zu positionieren?

Unsere Strategie konzentriert sich auf essentielle, wachsende Märkte. Energieversorgung und Energietransition, natürliche Ressourcen wie Wasser und «grüne Mineralien» sowie die Prozessindustrie. Die wachsende Weltbevölkerung und der global zunehmende Wohlstand führen zu einer stärkeren Nachfrage nach unseren Produkten und Dienstleistungen. Die Energieversorgung muss schrittweise dekarbonisiert, natürliche Ressourcen geschützt werden. Die Prozessindustrie muss energieeffizienter und sauberer werden. Auch diese Bedürfnisse und Anforderungen geben Sulzer Rückenwind. Unsere Strategie tönt einfach: organisches Wachstum und operative Exzellenz über die gesamte Wertschöpfungskette. Der entscheidende Faktor ist die Umsetzung.

Wie gehen Sie mit den Herausforderungen um, die sich durch die aktuelle globale Wirtschaftslage für Sulzer ergeben?

Der Bau von Infrastrukturen – z. B. für die Energie- und Wasserversorgung, neue Kapazitäten für mehr und saubere Produktion von Kunststoffen, Dünger, aber auch viele chemischen Spezialitäten – wächst global. Wir sind zufrieden mit der Nachfrage. Aber wir stellen uns die Frage, was wir regional und was wir zentral machen. Viele Länder betreiben eine aktive Industriepolitik. Auch in dem Sinne, dass sie darauf bestehen, dass ein hoher Anteil der Wertschöpfung in ihrem Land geschieht. Die USA macht das mit ihrem «Buy American, Build American». Ohne hohen Produktionsanteil in den USA kommt man bei wesentlichen Infrastrukturprojekten gar nicht infrage. Andere Länder, z. B. im Mittleren Osten, geben bei der Bewertung von Angeboten grosszügig Pluspunkte bei lokaler Produktion. Auch Indien und China streben einen möglichst hohen Anteil der Produktion im eigenen Land an. Sulzer ist seit langer Zeit ein globales Unternehmen, aber wir haben doch eine gewisse «Arbeitsteilung», mit Produktions- und Servicecentern, die es nicht in jedem Land gibt.

Sie haben mehrfach davor gewarnt, dass der Industriestandort Schweiz an Bedeutung gewinnen könnte. Was bereitet Ihnen am meisten Sorgen?

Ich mache mir nicht nur um den Industriestandort Sorgen, sondern generell um die mittel- und langfristige Wirtschaftsentwicklung der Schweiz. In den letzten zwei Jahren durfte ich viele Länder besuchen und auch mit hochrangigen Vertretern aus Politik und Wirtschaft sprechen. Die Gespräche drehten sich um die Frage, wie Investitionen angezogen werden können, wie mehr Innovation möglich ist, was es braucht, um produktiver und wettbewerbsfähiger zu sein. Nicht nur Wirtschaftsführer und Politiker stellen sich diese Frage, auch ganz «normale» Leute. Sie wollen, dass die Wirtschaft wächst und Wohlstand geschaffen wird. In der Schweiz nehme ich einen ganz anderen Dialog wahr. Es geht darum, die Wirtschaft mehr zu regulieren. Es geht darum, das Erwirtschaftete zu «verteilen», also um die Umverteilung, und es geht um allerlei andere Ansprüche, die man an die Wirtschaft stellt. Der Wohlstand wird verwaltet und verteilt, in der Annahme, dass er sowieso da ist. Das ist ein gefährlicher Trugschluss.

Was müssen Politik und Wirtschaft tun, damit die Schweiz langfristig konkurrenzfähig bleibt?

Die exportorientierte Wirtschaft tut schon zwangsläufig, was sie kann. Sie wird produktiver und innovativer, sonst kann sie nicht bestehen. Zusammen mit der Digitalisierung führt dies allerdings oft auch zu einer schrittweisen Verlagerung ins Ausland. Die Schweiz ist als Standort sehr teuer, die Löhne gehören weltweit zu den höchsten. Da sind wir in einem Teufelskreis gefangen. Auch die Preise für Güter und Dienstleistungen, auch importierte, sind sehr hoch. Wir haben uns leider daran gewöhnt. Trotzdem schwächt es den Industriestandort Schweiz, und die Politik nimmt dies hin. Die Politik muss dazu beitragen, dass unsere wertschöpfungsstärksten Branchen, bzw. die Firmen, in der Schweiz bleiben wollen und können. Wir müssen z. B. attraktiv für die Pharma sein und für Banken. Wir müssen generell für Firmen attraktiv sein, die Wertschöpfung erzielen und viel Steuern zahlen. Wir müssen offen sein für neue Technologien und Innovation und Unternehmertum positiv gegenüberstehen. Der Anteil der Wertschöpfung, die durch den Staat beansprucht wird, sollte abnehmen. Arbeit sollte sich finanziell lohnen. Heute beanspruchen Steuerprogression, AHV und Kosten wie Kinderbetreuung einen so hohen Anteil des Lohnes, dass sich viele für ein Teilzeitpensum entscheiden. Sie selber spüren es kaum im Portemonnaie. Der Staat dann allerdings schon. Ich würde mich auch wirklich sehr freuen, wenn es im Parlament endlich wieder zu Vorstössen zur Stärkung der Schweizer Wirtschaft käme. Und «last but not least»: Es wäre schön, wenn wir Schweizer Stimmberechtigten in unseren Entscheiden an die mittlere und langfristige Zukunft denken würden. Nichts ist in Stein gemeisselt, alles muss früher oder später erwirtschaftet werden.

Wie versuchen Sie Themen wie Innovationsfähigkeit und Veränderungskultur auch bei Sulzer nachhaltig zu verankern?

Durch eine klare Strategie, durch internationale Zusammenarbeit im Sulzer-Konzern und mit anderen Partnern, durch eine wirkungsvolle Kommunikation, durch einen detaillierten Plan, dessen Umsetzung verfolgt wird, durch Unterstützung und Motivation und auch durch Einfordern. Unsere vier Grundsätze sind: «Seize the opportunity», «Own it», «Team up», «Deliver value». Diese Grundsätze gelten weltweit und unabhängig von der Funktion. Sie kommen sehr gut an und es ist schön zu sehen, wie sie Innovation und Veränderung im Grossen und im Kleinen befeuern. Wir haben auch eine «Dankeschön»-Initiative ins Leben gerufen. Auf Kärtchen oder digital bedanken sich die Mitarbeitenden oder die Chefs bei Kolleginnen und Kollegen, die etwas speziell gut gemacht haben. Gestern ist mir in Abu Dhabi eines besonders aufgefallen: «Thanks to everybody who is focused on solving problems rather than discussing them.»

Wie blicken Sie von aussen auf den Wirtschaftsstandort Liechtenstein?

Vieles, was ich mir für die Schweiz wünsche, hat Liechtenstein umgesetzt. Eine wirtschaftsfreundliche Haltung, der Wille, für Unternehmer gute Rahmenbedingungen zu schaffen. Als kleines Land ist die Einbindung in den EWR zentral. Sicher ist auch die geografische Lage sehr gut für die wirtschaftliche Entwicklung. Liechtenstein kann auch sehr innovative Industrieunternehmen anziehen und halten. Das Berühmteste ist sicher Hilti. Aber auch Oerlikon Balzers und weitere aus unterschiedlichen Segmenten haben mit Liechtenstein eine gute Heimat.

Interview: Patrick Stahl

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